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Werte und Werturteile

Inhalt

Beispiele für Wertungen und Werturteile in der Sprache
Werturteile als Handlungsorientierungen
Wertungen sind immer bezogen auf bestimmte Subjekte und Situationen
Berichte über Wertungen sind selber keine Werturteile
Positiv bewertete Objekte werden zu Werten
Allgemeine und spezielle Wertbegriffe
Die Unterscheidung zwischen Bewertung und Beschreibung
Gegenpositionen
Die Werttönung beschreibender Begriffe
Werttönungen sind nicht immer problematisch
Die Problematik der "Schlagwörter"
Zulässige und notwendige Werturteile in der Wissenschaft




Text


Beispiele für Wertungen  und Werturteile in der Sprache


Werte und Bewertungen spielen in den verschiedensten Zusammenhängen eine Rolle, wie die folgenden Beispiele zeigen:

"Freiheit und Wohlstand sind die obersten politischen Werte in den westlichen Demokratien."

"Den hohen Wert der Freiheit erkennt man meist erst dann, wenn sie verloren gegangen ist."

"Elternhaus und Schule haben die Aufgabe, den Kindern unsere kulturellen Werte zu vermitteln."

"Die Prüfungsleistung von Norbert wurde als 'ungenügend' bewertet."

"Der Katalogwert von Briefmarken sagt wenig aus über ihren tatsächlichen Marktwert."

"Man soll solche Äußerungen auch nicht überbewerten."

"Diese Blume hat Seltenheitswert."

"Dieses Bergkulisse ist sehenswert."

 

Werturteile als Handlungsorientierungen

Wenn jemand ein Objekt x positiv bewertet ("x ist gut"), so drückt er damit seinen Willen aus, dass x bewahrt, beibehalten, gefördert, vermehrt, angestrebt, realisiert, gewählt etc. werden soll. Wenn jemand ein Objekt x negativ bewertet ("x ist schlecht"), so drückt er damit seinen Willen aus, dass x beseitigt, vernichtet, bekämpft, eingeschränkt, vermindert, gemieden, abgelehnt, etc. werden soll. Bei Entscheidungen ist das Wertvollere dem weniger Wertvollen vorzuziehen. Die Bewertung eines Objektes x beinhaltet also eine bestimmte Orientierung des Handelns in Bezug auf das bewertete Objekt.

Allerdings ergibt sich aus Bewertungen meist noch keine konkrete Handlungsnorm, weil bei dem Versuch, sein Handeln an mehreren Bewertungen zu orientieren, widersprüchliche Empfehlungen auftreten können. Wenn jemand z. B. 'freie Zeit' positiv bewertet und zugleich ein 'hohes Einkommen' positiv bewertet, so kann aus der positiven Bewertung des Einkommens folgen: "Arbeite mehr!" und aus der positiven Bewertung der Freizeit "Arbeite weniger!" Werte müssen deshalb gewichtet und gegeneinander abgewogen werden, bevor sie Entscheidungen und Handlungen konkret anleiten können. 

Wertungen sind immer bezogen auf bestimmte Subjekte und Situationen

Ein bestimmtes Objekt kann für dasselbe Subjekt in verschiedenen Situationen einen unterschiedlichen Wert haben ("Ein Königreich für ein Pferd!" - so ein Kaiser im Schlachtgetümmel). Dasselbe Objekt kann in einer gleichartigen Situation für verschiedene Subjekte unterschiedlichen Wert besitzen. ("Wat den eenen sin Uhl is den annern sin Nachtigall"). Insofern bezieht sich die Bewertung eines Objektes immer auf ein bestimmtes Subjekt in einer bestimmten Situation.

Werte werden jedoch auch ohne Bezug auf ein bestimmtes Subjekt oder eine bestimmte Situation behauptet, etwa in dem Satz "Gesundheit hat einen hohen Wert". Dies ist genau genommen eine verkürzte Ausdrucksweise für den Satz "Gesundheit hat für jeden Menschen in jeder Situation einen hohen Wert".

Berichte über Wertungen sind selber keine Werturteile

Aussagen über das tatsächliche Vorhandensein bestimmter Werthaltungen sind selber keine Werturteile. Wenn Harald sagt: "Das ist ein sehr guter Film", so handelt es sich um ein Werturteil, das Harald äußert. Wenn Thomas sagt: "Nach Haralds Meinung ist das ein sehr guter Film", so ist das eine beschreibende Aussage.

Der Satz "Der Unterricht bei Frau X hat für Nina einen höheren Wert als der Unterricht bei Herrn Y" kann zweierlei bedeuten: Zum einen, dass Nina - vor die Wahl gestellt zwischen dem Unterricht bei Frau X und dem Unterricht bei Herrn Y - den Unterricht bei Frau X vorzieht. Die Wahlhandlung oder Präferenz drückt hier Ninas tatsächliche Wertschätzung, den faktischen Wert für Nina aus.

Zum andern kann es jedoch auch bedeuten, dass Nina - vor die Wahl zwischen beiden Lehrer gestellt - den Unterricht bei Frau X wählen sollte.

Der Begriff "Wert" kann also sowohl beschreibend (deskriptiv) als auch vorschreibend (präskriptiv) benutzt werden. Diese Mehrdeutigkeit kann leicht zu Fehlschlüssen führen.

Positiv bewertete Objekte werden zu Werten

Objekte, denen ein Wert zugeschrieben wird, werden auch selbst als "Werte" bezeichnet. Man misst zum Beispiel der Ehrlichkeit einen Wert bei und man bezeichnet in der Folge die Ehrlichkeit selbst als einen Wert. Aus dem Satz: "Ehrlichkeit hat einen Wert" wird der Satz: "Ehrlichkeit ist ein Wert".

Auch diese Mehrdeutigkeit des Wortes "Wert" kann zu Fehlschlüssen und Missverständnissen führen

Allgemeine und spezielle Wertbegriffe

Werturteile werden sprachlich häufig durch allgemeine Wertbegriffe wie "gut", "schlecht", "gerecht" oder "ungerecht" ausgedrückt. Die Sprache hält jedoch ein umfangreiches Repertoire für Bewertungen der unterschiedlichsten Art bereit: "nützlich", "hervorragend", "wunderbar", "beispielhaft", "edel", "heldenhaft", "sympathisch", "schön", "hässlich", "schädlich", "gemein", "miserabel", "abstoßend", "ekelhaft"  und andere mehr. An der Vielfalt der sprachlichen Möglichkeiten, Wertungen auszudrücken, zeigt sich die große Bedeutung von Wertungen für das Zusammenleben der Menschen.


Die Unterscheidung zwischen Bewertung und Beschreibung

In der Methodologie der Erfahrungswissenschaften wird die logische Unterscheidung zwischen beschreibenden (deskriptiven) und bewertenden (evaluativen) Sätzen gefordert. Nach dieser Position, die man als "logischen Empirismus" bezeichnen kann, soll sich die Wissenschaft auf beschreibende und erklärende Aussagen beschränken. Wenn ein Wissenschaftler politische oder moralische Werturteile äußert, so kann er dies nicht mit der Autorität des Wissenschaftlers tun sondern nur als eine Person wie andere auch.

Zur Begründung dieser Forderung wird angeführt, dass mit den Mitteln der kontrollierten Beobachtung ("Empirie") und der deduktiven Logik zwar beschreibende und erklärende Aussagen überprüft werden können, nicht jedoch Werturteile oder Normen. Ich kann zwar - so wie andere auch - sehen, dass der Hund ein dichtes Fell hat. Ich kann aber nicht sehen, ob das gut oder schlecht ist. Letzteres ergibt sich erst durch das Hinzuziehen von Wertmaßstäben, die indes von Mensch zu Mensch verschieden sein können (subjektive, individuelle Wertmaßstäbe). Ob sich auch allgemeingültige Wertmaßstäbe rational bestimmen lassen, ist umstritten. Doch finden sich in den Verfassungen der Staaten als verbindlich gesetzte Werte ("Die Würde des Menschen ist unantastbar.")

Nach Auffassung der logischen Empiristen kann aus rein beschreibenden Aussagen kein logischer Schluss auf irgendwelche Werturteile gezogen werden (Humes Gesetz). Dies methodische Prinzip ist heutzutage kaum noch umstritten. Durch logische Umformungen kann kein völlig neues Bedeutungselement entstehen, sondern es können nur die in den Prämissen bereits implizit enthaltenen Aussagen explizit ausformuliert werden. Wenn aus Beschreibungen eine Wertung abgeleitet wird, handelt es sich demnach immer um einen logischen Fehlschluss, z. B. aufgrund einer nicht erkannten empirisch-normativen Doppeldeutigkeit bestimmter Wörter wie "Funktion", "Grund" oder "Wesen".

Gegenpositionen

Gegen diese  Auffassung wird eingewendet, dass die völlige Beseitigung wertender Elemente aus der Wissenschaftssprache nicht möglich sei und auch nicht wünschenswert.

Außerdem sei die strikte logische Trennung zwischen Sein und Sollen nicht durchführbar. So folge z. B. aus dem beschreibenden Satz: "Anita hat Lisa versprochen, ihr bei den Hausaufgaben zu helfen" logisch-deduktiv der normative Satz: "Anita soll Lisa bei den Hausaufgaben helfen!"

Die Werttönung beschreibender Begriffe

Da die Umgangssprache nicht nur der Information über Tatsachen dient, sondern auch der Handlungsorientierung, ist es nicht verwunderlich, dass beschreibende Begriffe zugleich auch wertgetönt sein können, also eine implizite Wertung enthalten können. So besitzt z. B. das Wort "gründlich" in dem Satz "Er hat die Maschine gründlich gereinigt" für die meisten Menschen sicherlich eine positive Werttönung.

Je nach Kontext kann die Werttönung ein und desselben Begriffs negativ oder positiv sein. So beinhaltet der Ausdruck "... ist mindestens zwölf Jahre alt" in Bezug auf ein Auto gewöhnlich eine negative Wertung, während derselbe Ausdruck in Bezug auf einen Whisky eine positive Wertung enthalten kann.

Die Werttönung eines Wortes kann dabei je nach der Bezugsgruppe, die das Wort gebraucht, auch unterschiedlich sein. So hat das Wort "bürgerlich" in manchen Kreisen einen guten Klang, in andern Kreisen wirkt es dagegen eher abwertend.

Die wertende Tönung der Wörter lässt sich kaum vermeiden. Man kann den etwas geringschätzigen Ausdruck "Lehrling" durch die wertneutrale Neuschöpfung "Auszubildender" ersetzen, aber im Ausdruck "Azubi" kehrt die Geringschätzung wieder. Ähnlich ist es bei Wörtern wie "Zigeuner / Sinti und Roma" oder "Neger / Schwarzer".

Werttönungen sind nicht immer problematisch

Die Werttönung einzelner Begriffe ist in den Erfahrungswissenschaften solange unproblematisch, wie diese Begriffe empirisch präzise definiert sind. Dann sind die damit gebildeten Sätze in ihrer deskriptiven Bedeutung - trotz der wertgetönten Begriffe - klar, und der empirische Wahrheitsgehalt der Sätze bleibt intersubjektiv überprüfbar. So ist z. B. der Weg vom Neuen Rathaus in Hannover zum Hauptbahnhof hinreichend präzise beschrieben, wenn anhand dieser Beschreibung jeder den Weg zum Bahnhof findet. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Beschreibung wertgetönte Begriffe enthält.

Die Problematik der "Schlagwörter"

Problematisch ist - zumindest in den Informationsmedien und in den Erfahrungswissenschaften - der Gebrauch von Wörtern, die eine starke Werttönung haben und zugleich in ihrer empirischen Bedeutung vage und unklar sind. Hier handelt es sich um "Schlagwörter", die in der politischen Propaganda und in der Werbung häufig verwendet werden. Beispiele hierfür sind Wörter wie "Schurkenstaat" oder "Delikatessleberwurst".

Eine Ausdrucksweise, die stark abwertend und zugleich deskriptiv nahezu leer ist, wird als "pejorativ" (franz. "herabsetzend") bezeichnet. Eine Ausdrucksweise, die stark aufwertend wirkt und zugleich in ihrer deskriptiven Bedeutung vage ist, wird als "euphemistisch" (griech. "beschönigend") bezeichnet. So handelt es sich um eine pejorative Ausdrucksweise, wenn die Tötung eines Menschen im offenen Kampf als "Ermordung" bezeichnet wird. Dagegen handelt es sich um einen Euphemismus, wenn die Erschießung eines Menschen aus dem Hinterhalt als "Hinrichtung" bezeichnet wird.

Zulässige und notwendige Werturteile in der Wissenschaft

Wo es auf allein auf empirische Wahrheit und politische Neutralität der Aussagen ankommt wie z. B. in den Erfahrungswissenschaften oder in den Nachrichten der Medien, sollten explizite Werturteile vermieden werden. Dies schließt indes keineswegs aus, dass die Informationsbeschaffung oder die Wahl der Forschungsgegenstände unter bestimmten Wertgesichtspunkten vorgenommen wird. Insofern bedeutet "Werturteilsfreiheit" noch nicht "Wertfreiheit".

In normativen Wissenschaften mit normativen Fragestellungen wie Ethik, Rechtsphilosophie, Pädagogik oder Politikwissenschaft sind explizite Werturteile unumgänglich und sinnvoll. Die Möglichkeit einer normativen Wissenschaft wird allerdings weithin bestritten. Häufig löst man das Problem in der Weise, dass vorweg bestimmte Ziele und Wertungen als außerwissenschaftliche Setzungen vorgegeben werden und dann rein empirisch-analytisch gefragt wird, was mit diesen Zielen logisch impliziert ist, wie diese Ziele verwirklicht werden können etc.. Ein solches methodisches Vorgehen ist auch mit dem logischen Empirismus vereinbar.


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Ethik-Werkstatt: Ende der Seite "Werte und Werturteile" / Letzte Bearbeitung 07.12.2012 / Eberhard Wesche

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